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Die Macht des Zahnes

Der Schmerz hielt sich brav an die Qualität der Straße, die von der russischen Grenze durch weites hügeliges Land zur Hauptstadt der Mongolei führt - Ulan Baator. Gelegentlich Schlaglöcher. Nichts Schlimmes. Die Mongolei ist so unglaublich weit, groß. Und da vergesse ich gerne das langsam häufiger werdende Ziehen meines maroden Weisheitszahnes.

Südlich von Ulan Baator ist die Straße ein Traum. Wir fliegen auf Asphalt dahin, der Wind kommt von Norden, stärkt uns den Rücken. Nur gelegentlich kauern sich kleine, staubige Ortschaften an unsere ständige Begleiterin - die Bahnlinie. Ortschaften, in denen nicht wir aus sauberen Brunnen Wasser holen dürfen. Nein, die herzlich lachenden Mongolen lassen es sich nicht nehmen, uns die Wassersäcke selbst zu füllen. Mittlerweile haben wir auch gelernt, was Danke heißt: Bair T'La.

Bettina hat die Zeltküche unter ihre Kontrolle gebracht. Während ich abends im Zelt Tagebuch schreibe, lässt sie den Benzinkocher fauchen. Und dann gibt es heißen Tee. Mitten in dieser Weite ein Stückchen wohltuende, kleine Heimat.

Dann aber nach der armseligen Ortschaft Chojr verlässt uns die Huld der Straße. Abrupt hört der Komfort auf, verwandelt sich in Steine, zermahlt sich in ganze Passagen aus Sand. Die Mongolen sind hier, wenn überhaupt, mit Jeeps unterwegs. Vor fast jeder Jurte steht so einer neben Kamelen oder Ziegen.

Und als hätte die Weisheit meines Zahnes die Veränderung der Straße erspürt, als wolle der Zahn das wilde Rütteln und Schockeln der Räder auf der oft wellblechartigen Sandpiste übelnehmen, beginnt er aufzubegehren, der Zahn. Ich zerschlage das Aufflammen dieser Rebellion mit Aspirin und Nelkenöl.

Wieder Wasser aus einem Brunnen. Eine Kameltränke. Das Zelt steht mitten in der Wüste. Die Sonne taucht diese Pracht ein letztes Mal für heute in gebührendes Gold, kühl ist die Gobi abends. In der Ferne taucht ein einzelner Scheinwerfer auf. Ein Lkw, sein zweites Licht ist blind. Nachts auf dieser Piste... verrückt. Immer wieder setzt er auf, dass es kracht. Das Material heult, aber es hält.

Wieder Stille. Sterne. Der Tee ist fertig. Meine liebe Bettina stellt mir eine dampfende Tasse hin. Wir haben vergessen, wie sehr sich der Zahn an die Qualität der Straße hält...

Am nächsten Tag ist es mir unmöglich weiter zu fahren. Wir halten einen leeren Lkw an.

Es fügt sich nun ein zweiter Schmerz hinzu: In ein paar Stunden nur haben wir hundert Kilometer phantastische Einöde durchquert. Die majestätische Weite ist verkümmert auf ein paar rasche Eindrücke. Eine Kamelherde auf einem Bergkamm. Jurten. Und schon sind wir an der Grenze nach China. Ein Nachtzug nach Peking und ab in die Zahnklinik zu Doktor Gong (sehr hübsch!).