(oder: Darlegung eines interkulturellen Sprachaustauschkurses im außereuropäischen Ausland am Beispiel einer Begegnung eines deutschen Touristenehepaares mit einem uigurischen Brotbäcker)
Der Nordwesten Chinas hat seine kulturellen und religiösen Wurzeln im Arabischen und Muslimischen.
Durch verstaubte Lehmziegeldörfer trotten bärtige alte Männer neben ihren Eselkarren. Vermummte Frauen rufen ihre Kinder zu sich - in einer Sprache, die sich anhört, als liefe eine Hörspielcassette ziemlich schnell rückwärts. Aus rußigen Fleischständen fließen flimmernd heitere Töne einer manchmal schrill quäkenden Musik. Ja, und dann gibt es dieses leckere Uigurenbrot. "Nan" heißen die knusprigen Fladen, und es ist ausnahmsweise nicht nötig zu handeln - sie kosten 2 Yuan.
Irgendwo an der Seidenstraße am Nordrand der Takla Makan haben wir zum ersten Mal einen Stand mit Nan gesehen. Wir stellten unsere Räder ab und der Brotbäcker seine Arbeit ein. Neben einer mehligen Arbeitsfläche stand ein gemauerter runder Steinofen am Straßenrand.
Die an der Innenseite des Ofens golden braun gebackenen Fladen stapelten sich auf der Arbeitsfläche. Bettina nahm zwei Stück davon. Der Brotbäcker hielt uns vier Finger hin.
Vier Finger - vier Yuan.
Ich kramte also vier knittrige grüne Geldscheine aus einem der Fächer unseres schönen mongolischen Geldbeutels und legte sie zu den Teigresten auf der Bäckerhand.
"Xie xie", sagte ich. Das chinesische Wort für 'Danke'. Eines der wenigen Wörter, die wir so aussprechen können, dass wir verstanden werden.
Dann aber wurde mir klar, dass der Chinese vor uns gar kein richtiger Chinese war, jedenfalls kein Han-Chinese, sondern ein Uigure.
Was aber heißt 'Danke' auf Uigurisch?
"Xie xie - zhong guo", sagte ich. 'Zhong guo' heißt 'Mitte-Land'. Also 'China'.
Dann hängte ich mit fragenden Augen noch ein "Uigur?" an meine Feststellung.
Nach kurzem Überlegen erhellte sich das Gesicht des Brotbäckers: "Rachmet!"
Bettina und ich lächelten, hatten wir doch soeben gelernt, uns auf uigurisch zu bedanken.
Bettina hob das Brot hoch: "Rachmet!"
Nun freute sich auch der Brotbäcker und lächelte zurück.
Während Bettina die zwei Fladen in die Satteltasche mit Essen verräumte, wollte ich noch lernen, mich auf uigurisch zu verabschieden.
"Zhong guo: zai jien", sagte ich zum Brotbäcker. 'Zai jien' heißt 'Auf Wiedersehen' auf Chinesisch.
Der Brotbäcker nickte.
Wieder fragte ich: "Uigur?"
"Hosch!", sagte er. "Hosch!" Dazu verbeugte er sich ein klein wenig.
Die Verbeugung war nett. Bloß hatten wir nicht genau beobachtet. Hatte er sich mit dem ganzen Oberkörper nach vorne gebeugt oder nur den Kopf ein wenig nach vorne geneigt?
Ich wollte mich vergewissern und hielt zu diesem Zweck beide Zeigefinger seitlich an die Hüftgelenke und fragte mit einer leichten Verbeugung auf deutsch: "So?"
Wieder ein rasches Verstehen. Er deutete auf die gleiche Art auf seine Hüften und sagte: "So."
Wir stiegen auf unsere Räder und riefen beide: "Hosch! Hosch!"
Der Bäcker steckte beide Zeigefinger in die Hüften, verbeugte sich lächelnd und rief: "So so!"
Wir waren schon ein paar Kilometer gefahren, da dämmerte uns, was für einen kulturellen Crashkurs wir dem uigurischen Brotbäcker verabreicht hatten. Ob künftige deutsche Touristen der Seidenstraße wohl meinen werden, uigurische Brotbäcker am nördlichen Rand der Takla Makan verabschiedeten sich mit in die Hüften gesteckten Zeigefingern: "Soso!"